Was bedeutet eine feministische Haltung in der Psychotherapie?
Die Feministische Therapie ist weder eine Methode, noch entspringt sie einer bestimmten Schule. Tatsächlich würden viele Feministinnen sogar sagen, Psychotherapie ist antifeministisch, da sie wenig an bestehenden sozialen Verhältnissen verändert und Probleme individualisiert anstatt sie strukturell zu analysieren (z. B. Happonen, 2014; Kitzinger & Perkins, 1994). Ich verstehe einen feministischen Ansatz in der Psychotherapie als Haltung, die eine Therapeutin mitbringt.
Ich fühle mich der zweiten Welle der Frauenbewegung verbunden. Diese bis in die 80er Jahre besonders einflussreiche gesellschaftliche Protestbewegung geht von einer materiellen Realität von Geschlecht aus. Sie nimmt den Körper als Ausgangspunkt ihrer Analyse. Sie unterscheidet zwischen dem leiblich bedingten, nicht veränderbaren, Geschlecht (englisch: ‚sex‘) und den sozial und kulturell geformten, veränderbaren, Geschlechterrollen oder Geschlechtsrollenstereotypen (englisch: ‚gender‘).
Unabhängig davon, ob man nun Verhaltensunterschiede von Männern und Frauen als biologisch determiniert oder durch Sozialisation erworben auffasst – wichtig finde ich, zu berücksichtigen, dass wir Frauen im gegenwärtig patriarchal geprägten Gesellschaftssystem andere Bedürfnisse, Werte, einen anderen Status, andere Herausforderungen, kurz: ein anderes Erleben als Männer haben.
Eine feministische Haltung in der Psychotherapie berücksichtigt besonders den Kontext und die Umwelt eines Individuums, also auch die gesellschaftlichen Strukturen. Sie ist explizit wertebasiert, insbesondere was den Schutz unserer körperlichen Unversehrtheit angeht. Bereits damit unterscheidet sie sich von herkömmlicher Psychotherapie, die sich – vermeintlich – wertneutral gibt.
Eine feministische Haltung in der Psychotherapie möchte Frauen dabei unterstützen, ein bedürfnisgerechtes, selbstachtungsvolles und selbstbestimmtes Leben zu führen. Dies bedeutet unweigerlich, Frauen darin zu begleiten, in einem für sie stimmigen Maße, widerständig gegen Rollenerwartungen, institutionalisierte Bevormundung und gesellschaftliche Zwänge zu sein.
Happonen, T. (2017). Making the political personal. How psychology undermines feminist activism, Feminist Current. https://www.feministcurrent.com/2017/12/21/making-political-personal-psychology-undermines-feminist-activism/
Kitzinger, Celia & Perkins, Rachel (1994). Changing our Minds: Lesbian Feminism and Psychology. New York: Univ Print.
Zum Weiterlesen
Bilek, Jennifer (2024). Transsexual, Transgender, Transhuman: Dispatches from the 11th hour. Spinifex Press.
Brunskell-Evans, Heather (2020). Transgender Body Politics. Spinifex Press.
Burman, Erica (1990). Feminists and Psychological Practice. Sage Publications Ltd.
Daly, Mary (1991). Gyn/Ökologie: Die Meta-Ethik des Radikalen Feminismus. Frauenoffensive.
Graham, Dee (2024). Loving to survive: Auswirkungen sexueller Unterdrückung und männlicher Gewalt auf das Leben aller Frauen. Ulrike Helmer Verlag.
Göttner-Abendroth, Heide: alle Bücher [Matriarchatsforschung]
Jeffreys, Sheila: alle Bücher; insbesondere Gender Hurts (2014), Beauty and Misogyny (2014), Unpacking Queer Politics (2003), Die industrielle Vagina: Die politische Ökonomie des globalen Sexhandels (2008) und The Lesbian Revolution: Lesbian Feminism in the UK 1970 – 1990 (2018).
Jensen, Robert (2021). Das Ende des Patriarchats: Radikaler Feminismus für Männer. Spinifex Press.
Klein, Renate (2022). Mietmutterschaft: Eine Menschenrechtsverletzung. Spinifex Press.
Reist, Melinda Tankard (Hrsg.) (2022). He chose Porn over Me: Women Harmed By Men Who Use Porn. Spinifex Press.
Schon, Manuela (2022). Raus aus dem Genderkäfig: Der Kampf um Frauenbefreiung im 21. Jahrhundert. Tredition.
Von Werlhof, Claudia: alle Bücher [Matriarchatsforschung]